Bewertungsdetails

Krimis & Thriller 2509
Die Frau in Weiß
Gesamtbewertung
 
4.0
Plot / Unterhaltungswert
 
4.0
Charaktere
 
4.0
Sprache & Stil
 
4.0
«Die Frau in Weiss» ist eines der ersten Bücher, aus dem später das Genre Krimi entstand. Allerdings macht hier noch kein Kommissar Jagd auf einen Verbrecher, sondern hauptsächlich der Zeichenlehrer Hartright, der zuerst vor allem beweisen will, dass überhaupt ein Verbrechen vorliegt. Was der Leser in Händen hält ist das Produkt von Hartrights Recherchen.

Es handelt sich dabei um eine Sammlung von Augenzeugenberichten, die von verschiedenen Personen geschrieben wurden. Der erste Teil stammt von Hartright selbst, danach folgt eine Passage des Rechtsanwaltes Vincent Gilmore, dann kommen Einträge aus den Tagebüchern von Lauras Schwester Marian Halcombe und so weiter. Was im Inhaltsverzeichnis verwirrend wirkt, ist im Buch sinnvoll - Hartright (respektive der Autor Wilkie Collins) hat Sorge getragen, dass die Berichte schön der chronologischen Reihenfolge der Geschehnisse entsprechen.

Der Plot an sich ist nicht übermässig kompliziert und die Geschichte liesse sich in flottem Tempo auf 200 Seiten erzählen. Allerdings ist das Buch ein Kind seiner Zeit, der Steifheit und Förmlichkeit der englischen Oberklasse wird Rechnung getragen, in dem die Geschichte so erzählt wird, wie sich die Leute damals unterhielten: Langsam und ausführlich (zumindest aus heutiger Sicht). Das liest sich ganz interessant und ich fühlte mich teilweise wirklich in diese Zeit zurückversetzt, auch in die unangenehmen Seiten davon. So werden Dienstboten gar nicht als vollwertige Menschen betrachtet, und sogar ein gebildeter Mensch wie Zeichenlehrer Hartright bekommt immer wieder zu spüren, dass die Adligen sich tatsächlich allein aufgrund ihrer höheren Geburt für bessere Menschen halten. Und dass Frauen in jedem Fall dümmer sind als Männer, versteht sich von selbst... Das alles ist zwar keineswegs Thema des Romans, das sind die Dinge, die man zwischen den Zeilen herausliest. Unter dem Aspekt, dass das alles erst 150 Jahre her ist, haben mich diese Alltäglichkeiten fast am meisten beeindruckt – respektive der Weg, den die Europäer in dieser Zeit gesellschaftlich zurückgelegt haben.

Mit Abstrichen beim Erzähltempo und Beschreibungen von Geisteszuständen (vor allem die Frauen müssen sich beim kleinsten Ungemach gleich ins Bett legen, heute würde man sie bei gleichem Verhalten wohl als «Drama queen» betiteln und dann ignorieren statt umsorgen) wirkt «Die Frau in Weiss» wie ein modernes Buch. Die Zusammenstellung aus verschiedenen Berichten fand ich originell, sie brachten genau das richtige Mass an Abwechslung, damit die über 800 Seiten gut zu überstehen waren. Sprachlich merkt man, dass es sich um einen Unterhaltungsroman handelt, das Buch lässt sich also leicht lesen. (Wobei Wilkie Collins natürlich besser schreibt als so mancher Thrillerautor heutiger Tage. Aber man merkt, dass er es seiner Leserschaft nicht absichtlich schwer machen wollte.)

Zum Abschluss noch ein Wort zu der Ausgabe, die ich gelesen habe. Sie ist im Fischer-Verlag erschienen (Taschenbuch), die Erstausgabe war 1995 (die Übersetzung stammt allerdings aus dem Jahr 1965). Es war wohl die Zeit der Rechtschreibreform und das Korrektorat in dem Verlag muss heillos überfordert gewesen sein. Da ist von Atmosfäre und Filosofie zu lesen, umgekehrt setzt sich ein Protagonist aber auch mal gerne aufs Sopha. Noch viel schlimmer ist allerdings der Deppenapostroph: «...beginnen mit der niederschlagenden Kalamität von Marian's Krankheit.» Gehts noch? Dieser Fehler zieht sich konsequent durch. Ebenfalls seltsam ist die konsequente Grossschreibung von Indefinitpronomen wie alle, keiner, jeder oder beide. Das kann ich ja noch (als mir unverständliches) Stilmittel durchgehen lassen. Aber beim Rest frage ich mich schon, wieso dieser Nonsense in der siebten Auflage immer noch nicht korrigiert ist.

Fazit:
Es war sehr interessant, einen der ersten Krimis überhaupt zu lesen und gut unterhalten fühlte ich mich dabei auch noch. Wer etwas aus der viktorianischen Zeit lesen möchte, tut hier sicher keinen Fehlgriff.
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