Bewertungsdetails

Historische Romane 11969
Eine Nebenfigur stirbt mal wieder? Wayne interessiert's?
Gesamtbewertung
 
1.3
Plot / Unterhaltungswert
 
2.0
Charaktere
 
1.0
Sprache & Stil
 
1.0
Nachdem ich im letzten Jahr keinen richtigen Leseflop zu verzeichnen hatte und sich die meisten Bücher bei "ganz gut, aber weder besonders schlecht noch überragend" einreihten dachte ich schon, ich hätte die "Fähigkeit" verloren ein Buch auch mal mies zu finden. Dann kam der Medicus.

Eigentlich verfügt der Medicus ja über viele Zutaten für einen interessanten, historischen Roman. Exotische Länder, fremde Kulturen, ein interessantes Thema (Medizin in früherer Zeit) … vermutlich ist das mit dafür verantwortlich wie erfolgreich dieses Buch geworden ist. Je länger ich las desto mehr bekam ich jedoch den Eindruck dass der Autor sich übernommen hatte. Ich fühlte mich ein bisschen wie in einem Ausmalbuch für Kinder. Noah Gordon lieferte die Skizze (wenn auch in Übergröße), Ausmalen sollte ich als Leser dann selber.

Zum einen – gerne stellt Noah Gordon Dinge in den Raum wie "Er hatte immer noch großen Charme" (sinngemäß) bleibt es dem Leser aber schuldig tatsächlich zu zeigen das dieser Charakter über seinen eigenen Charme verfügt.

Zum anderen – die Geschichte spielt über einen langen Zeitraum. Dementsprechend packt der Autor das Buch voll mit diversen Ereignissen, denen er einzeln erzählt aber selten viele Worte widmet - ein paar Zeitraffer zur Überleitung finde ich ja in Ordnung, aber nicht in diesem Ausmaß. Da wird ein Beutezug nach Indien inkl. der langen Hin- und Rückreise, mehreren (sehr blutleeren) Kämpfen, einer toten Nebenfigur etc. auf 25 Seiten behandelt. Als die jungen Studenten zur Bekämpfung der Pest in eine entfernten Stadt weilen, wobei zwei der Mediziner selber erkranken braucht der Autor nicht mehr als 12 Seiten.

Das führt außerdem zu einer recht paradoxen Situation – obwohl die Ereignisse selbst selten länger beschrieben sind ist der Roman alles andere als kurzweilig. Spannung wurde durch das rasche Abhandeln von potentiellen gefährlichen Situationen im Keim erstickt und weil ich mich von einer blutleeren Episode zur nächsten hangelte wurde die Lektüre für mich schnell mühsam und eintönig. Vor allem hatte ich den Eindruck das es zum Ende hin immer schlimmer wurde, wobei das auch daran liegen kann das der Zeitraffer für Robs Jugendjahre am Anfang erst einmal noch okay ist und ich erst später zunehmend genervt war.

Dem Ganzen wurde schließlich die Krone aufgesetzt, als der Autor von der Verhaftung, Verurteilung, Hinrichtung (und Beerdigung) einer Nebenfigur erzählt. Dafür lässt er sich insgesamt 3 – DREI!! – Seiten Zeit. Und das beschreibt er dann auch noch so verkürzt und komplett distanziert / emotionslos das ich heulen könnte … nicht weil da jemand stirbt sondern weil ich noch nie so einen KALTEN Bericht über den Tod einer - nicht ganz so unwichtigen Figur! - gelesen habe. Unfassbar.

Überhaupt! Eine Nebenfigur stirbt mal wieder? Wayne interessiert’s! Fühlt Rob was? Der Leser erfährt durch den Autor jedenfalls nichts davon, das kann man sich höchstens selber ausschmücken. Dann wirkte Rob ohne weitere Erläuterung seines Verhaltens/Gefühle/Gedankengänge auf mich häufig auch eher selbstherrlich und arrogant in seinen Aussagen. Manche Taten waren zudem reichlich naiv (z.B. die Signatur seiner Zeichnungen). Was nicht besser wurde dadurch dass der Autor mehrfach einbringt was für ein überaus talentierter und toller Arzt er ja ist. Das wurde mir an einigen Stellen übertrieben betont. Und so ist Rob mir über das ganze Buch hinweg immer unsympathischer geworden.

Ich habe auch nicht immer den Eindruck gehabt, dass der Autor besonders sorgsam geschrieben hätte. (Oder das Lektorat sorgfältig gearbeitet hat?) Da ist ein Darmkrebs 20 Seiten später plötzlich Magenkrebs (oder war das der Übersetzer?). Und erst denkt man gar nicht an einen bevorstehenden Krieg, drei Sätze später macht man sich [natürlich] Sorgen? Also bitte … Auch erfolgen Themenwechsel teilweise doch sehr abrupt, mir fehlten häufiger Überleitungen.

Was ich hier nicht kritisiere (kritisieren kann) ist die historische Korrektheit. Für den frühen Zeitraum in dem das Buch spielt kam mir zwar einiges merkwürdig vor, dennoch kann ich diesen Aspekt nicht beurteilen. Der Autor sagt im Nachwort meiner Ausgabe (1990, Übersetzung von Willy Thaler) immerhin selbst dass es nicht viele Aufzeichnungen gibt und wo diese fehlen er einfach dazuerfunden hat.

Ich denke der Medicus ist eher ein Roman für Leute, die Geschichten lieber selber ausschmücken. Für diejenigen, die lange Abhandlungen nicht mögen und ein schnelles Umreißen des Geschehens bevorzugen. Wobei man da bei der Länge des Buches auch schon wieder aufpassen muss. ;-) Wer eine gewisse Ausführlichkeit in den Beschreibungen sucht, etwas das eine ganz eigene Atmosphäre erzeugen kann (auch wenn manchen das langweilig erscheinen mag), dem würde ich das Buch nicht empfehlen.

Mein Fazit: Skizzenhafter, blutleerer Roman ohne Emotionen, das macht selbst das exotische Setting zunichte. Mein erster Leseflop 2015. Dafür gibt es nur einen Punkt.
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