Gibt es heute noch Wunder? Auf einem Nachtspaziergang wird Otto Jakob Zeuge, wie ein Mensch sich vom Dach seines Hauses in die Luft erhebt: Simon fliegt. Otto Jakob zweifelt keinen Augenblick am Unerklärlichen. Aber er will es verstehen, um selber fliegen zu können. Sein Freund Peter Fischer hilft ihm. Der arbeitet als Rundfunkredakteur und erhält von einem verschrobenen Autor eine Bearbeitung frühchristlicher Apostelgeschichten. Auch darin ereignet sich Unerklärliches, auch darin können Menschen fliegen. Aber Peter Fischer kommt es nicht in den Sinn, Vergleiche mit den unglaublichen Vorgängen in seiner Umgebung anzustellen. Er ist zu mitgenommen vom Seitensprung seiner Frau, die ausgerechnet mit dem fliegenden Simon ein Verhältnis beginnt.
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Charaktere
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Sprache & Stil
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Otto Jakob macht einen nächtlichen Spaziergang. Auf seinem Weg durch eine Neubausiedlung sieht er einen Mann auf einem Dach stehen. Zuerst denkt er natürlich, der Mann wolle sich vom Dach stürzen, bis dieser die Arme ausbreitet und in die Luft aufsteigt. Der Kerl fliegt! Otto ist zwar nicht nüchtern, aber für so besoffen hätte er sich doch nicht gehalten. Er nimmt Kontakt mit seinem alten Schulkameraden Peter Fischer auf, der beim Rundfunk für die Kultursparte zuständig ist. Dieser leiht Otto sogar sein Teleskop und Otto gelingen eines Abends ein paar ziemlich verschwommene Aufnahmen, mit denen er Simon Ulrich, den Flieger, zu erpressen versucht. Nicht um Geld, oh nein! Davon hat Otto selbst genug. Nein, Otto will auch fliegen können! Immer tiefer zieht er auch Peter in seine Aktivitäten hinein, der bald einen höchst persönlichen Grund findet, sich mit Simon Ulrich anzulegen: Peters Frau Sophia hat ein Verhältnis mit Simon. Nebenher muß sich Peter allerdings auch um den Lokaldichter Gottfried Scheuchzer kümmern, der diesmal eine Art Passionsspiel nach den Acta Petri verfaßt hat. Und während Peter die Parallelen zwischen Scheuchzers Stück und den Ereignissen um ihn herum gar nicht auffallen, deutet alles auf eine Erklärung hin, die auf der Kanareninsel La Palma zu suchen ist ...
Witzig, auf eine ungeheuer trockene Art. Schon wie Simons Levitationskünste eingeführt wurden, hat mich schmunzeln lassen, und es gibt eine Menge kleiner Situationen, die Mähr mit einem guten Blick für Details damit verknüpft. Denn so bequem das Schweben ja sein mag, so ist es vielleicht doch auffällig, im Schnee keine Fußspuren zu hinterlassen. Einen weiteren Reiz zieht die Geschichte aus den Parallelen zu Gottfrieds Stück, die Peter zwar nicht auffallen, dem Leser dafür umso leichter. Es ist allerdings keine einfache Dopplung, die hier passiert, sondern eine Übertragung und Anpassung an moderne Zeiten, die ganz zwangsläufig in der Frage münden: Gibt es heute noch Wunder? Oder gibt es doch für alles eine „natürliche“, wissenschaftliche Erklärung? Das Ergebnis im Roman ist eindeutig.
Durch die Konzentration auf einen sehr überschaubaren Personenkreis und die Beziehungen zwischen ihnen bekommt das Ganze fast den Charakter eines Kammerspiels. Zwar bekommt man die Geschichte vorwiegend durch Peter als Ich-Erzähler präsentiert, aber diese Abschnitte wechseln mit einem auktorialen Erzähler, so daß man hinreichend über die Gedanken und Gefühle der anderen Hauptpersonen im Bilde ist. Die Flugeinlagen ändern an der Kammerspielatmosphäre übrigens nichts, so spektakulär oder dumm sie im einzelnen auch daherkommen. Was mich am Anfang allerdings ziemlich gestört hat, im Verlaufe der Erzählung aber besser wurde: Die Sätze kommen ziemlich kurz und als reine Aneinanderreihung von Hauptsätzen daher. Erst mit zunehmender Erzähldauer verlaufen sich auch Nebensätze in die Formulierungen, so daß sich ein gewohnter Lesefluß einstellt. Inwieweit hier Absicht zugrundeliegt, kann ich nicht beurteilen, halte es aber nicht für ausgeschlossen, da die einfache Satzmelodie zu Beginn durchaus einen sehr spezfischen Rhythmus erzeugt, der an mythische oder auch biblische Texte denken läßt. Alles in allem ein recht kurzweiliges Lesevergnügen.