Richard Flanagan: Goulds Buch der Fische

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Richard Flanagan: Goulds Buch der Fische
Verlag
ET (D)
2002
Ausgabe
Taschenbuch
Originaltitel
Gould's BOOK OF FISH. A Novel in Twelve Fish
ET (Original)
2001
ISBN-13
9783833300912

Informationen zum Buch

Seiten
464

Sonstiges

Übersetzer/in
Erster Satz
Das Staunen, das ich empfand, als ich das Buch der Fische entdeckte, ist mir geblieben, licht wie das schillernde Marmormuste, das meinen Blick an jenem sonderbaren Morgen auf sich zog; glitzernd wie diese unheimlichen Strudel, die meinen Geist mit Farben erfüllten und meine Seele in ihren Bann schlugen - worauf mein Herz, ja, schlimmer noch mein Leben von diesem Wirbel erfasst und aufgerollt wurde zu dem armseligen, struppigen Garn dieser Geschichte, die Sie gleich lesen werden.

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Handlungsort

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"Goulds Buch der Fische" schildert das abenteuerliche Leben des Diebs und Fälschers William Buelow Gould. Im 19. Jahrhundert schreibt er in einer Zelle auf Sarah Island, einer Gefängnisinsel vor der Küste Tasmaniens, seine Erinnerungen auf und illustriert sie mit detailgenauen Zeichnungen von Fischen. Er schildert seinen Lebensweg, erzählt von seiner Verbannung, seiner Liebe zur Kunst und zu Sally Twopence, der Mätresse des Gefängniskommandanten, die ihm schließlich zum Verhängnis wird.

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Dieses Buch ist ein Gesamtkunstwerk, ein perfektes Zusammenspiel von Form und Inhalt. Dass es solche Bücher heute noch (oder wieder?) gibt, erscheint mir nach dem handwerklichen Einheitsbrei aus nach dem ersten Lesen auseinanderfallenden Klebeeinbänden und geschmacklosen Covergestaltungen als ein kleines Wunder. Und dazu erzählt es auch noch eine wunderbare Geschichte - was will man mehr?

Im Tasmanien von heute findet ein kleiner Antiquitätenfälscher durch Zufall ein altes Buch, das ihn von der ersten Sekunde an fasziniert - das Tagebuch des Zeichners William Buelow Gould, der um 1830 auf der Gefängnisinsel Sarah Island auf seine Todesstrafe wartet und in dieser Zeit vom Häftlingsarzt beauftragt wird, die Fischwelt des sie umgebenden Meeres für seine Forschungsarbeit zu zeichnen. Am Ende seines Lebens reproduziert er seine eigenen Bilder und führt nebenbei - verbotenerweise - ein Tagebuch über die schauerlichen Geschehnisse auf dieser von Gott und der Welt verlassenen Insel, auf der Sadismus, Gewalt und Realitätsverlust regelmäßig den Kampf gegen den Überlebenswillen der Einsitzenden - Häftlinge wie Wärter - gewinnen.

Wer auf Sarah Island landet - und dort landet niemand freiwillig, sei er nun Gefangener oder Wächter - ist abgeschnitten vom Rest der Welt. Alle Nachrichten aus der Zivilisation brauchen mehrere Monate, um diese Zwischenwelt zu erreichen, und so ist es kein Wunder, dass das britische Gesetz dort nicht viel gilt. Zum Herrscher dieses kleinen Reiches hat sich ein ehemaliger Sträfling aufgeschwungen, der sich mit “Kommandant” anreden lässt, nur mit einer Goldmaske in der Öffentlichkeit auftritt und davon träumt, ein mächtiges Handelsemporium wie das venezianische begründen zu können. Bar jeglichen Realitätssinns foltert und quält er “seine” Gefangenen dafür, denen die Absurdität ihres Tuns - Bau von Eisenbahnen, die nur im Kreis herumführen, und riesigen Spielcasinos, die nie in Betrieb genommen werden - gar nicht wirklich aufgeht.

Eine ähnlich skurrile Gestalt ist auch der Gefängnisarzt, der hauptberuflich damit beschäftigt ist, Hinrichtungen und Folterungen zu überwachen, damit das eine nicht zum anderen gerät. Nebenberuflich fühlt er sich als berufener Naturforscher, der der Systematik der Welt auf die Spur kommen will und dazu die künstlerischen Fähigkeiten Goulds zu benötigen meint. Dieser ergreift gern die Möglichkeit, der strapaziösen Arbeit im Steinbruch zu entkommen und startet eine “Karriere”, die ihn schließlich zum Hofmaler des Kommandanten und Liebhaber von dessen Geliebter macht - nur um schließlich in einer Todeszelle zu landen, in der zweimal täglich zur Flut das Wasser bis kurz unter die Decke steigt.

Eine abenteuerliche, existenzielle, dramatische und tragische Lebensgeschichte wird hier erzählt. Dem Leser wird dabei wenig erspart, Billy Gould nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn er die grausamen Verhältnisse, Misshandlungen, Folterungen und Qualen auf Sarah Island so darstellt, als ob sie etwas vollkommen selbstverständliches seien; als habe eine Kolonie von Verbrechern schlicht und einfach nichts anderes zu erwarten. Dabei scheint in seinem Text immer wieder eine erstaunliche Diskrepanz zwischen der beschriebenen Brutalität und der schlichten, unbeugsamen, poetischen und manchmal sogar augenzwinkernd ironischen Art und Weise auf, in der der Protagonist die Welt betrachtet.

Alle Überlegung richtet sich auf die Frage, was Wirklichkeit eigentlich ist und wie man sich seine eigene Wirklichkeit gestalten kann. Kann man sie überhaupt selbst(bestimmt) gestalten? Sind es die Schmerzen und die elende Existenz, die die meisten auf der Insel führen? Ist es der Irrsinn des Kommandanten, der in einer offensichtlichen Scheinwelt lebt - oder die Illusionen des Doktors, der von “seiner” Form der Wirklichkeit schließlich auf besonders makabre Weise eingeholt wird? Oder ist es die Welt der Fische, die Gould töten muss, um sie zu malen, und deren Zauber er doch immer mehr verfällt? Billy Gould findet keine Antwort und fordert den Leser auf, sich seine Sinngebung selbst zu suchen. Und er wird letztendlich vom Maler, der die Welt festhält und dokumentiert und dadurch auch ein bestimmtes Bild als “real” definiert, selbst zum “Fisch” und damit zum reinen, unangreifbaren, wertfreien Beobachter.

Richard Flanagan ist - aufbauend auf den historischen Bildern des Sträflingsmalers Billy Gould, die heute in der State Library of Tasmania zu besichtigen sind - ein Roman gelungen, der den Leser von Anfang an in seinen Bann zieht. Die Figuren wirken häufig so als ob sie gerade eben am Realismus vorbeigeschrammt wären - was dem gesamten Text eine sehr poetische, leicht surreale Stimmung verleiht, ohne die sehr handfesten Beschreibungen von Gewalt, Sex und Hunger deplaziert erscheinen zu lassen. Sprachlich ist dieser Stil dabei nicht immer leicht zu verfolgen; Gould schreibt seine Lebensgeschichte mal in der dritten, meist aber in der ersten Person, er macht Zeitsprünge, die beim ersten Lesen ziemlich unkoordiniert erscheinen, Träume und Phantasien spielen eine große Rolle, und er beschreibt das - häufig sehr skurrile - Verhalten seiner Mitmenschen, ohne sie dabei wirklich zu charakterisieren oder Vermutungen über ihre Handlungsintentionen anzustellen. Die Suggestionskraft seiner bildhaften Sprache ist dabei aber stark genug, um den Leser in seine Gedanken- und Erlebenswelt förmlich hineinzusaugen.

Der besondere Zauber dieses Buches aber liegt in seiner Aufmachung, die es wirklich von anderen - inhaltlich ähnlich guten - Romanen abhebt. Nicht nur ist es leinengebunden, fadengeheftet und mit Lesebändchen versehen. Nein, es spiegelt in seiner Form den Inhalt, und das gleich auf mehrere Weisen. Zunächst ist der Leineneinband mit dezenten Glitzerpartikeln versehen, die man erst bemerkt, wenn man den schön gestalteten Schutzumschlag abmacht. Dann ist das Papier etwas ganz Besonderes - ein Volumenpapier, das sich auch haptisch ausgesprochen gut (und anders als normales Papier) anfühlt. Schließlich der Druck selbst: Allen Kapiteln ist das jeweilige Originalbild zum zugehörigen Fisch vorangestellt, und alle Kapitel sind in unterschiedlichen Farben gedruckt, um die verschiedenen Tinten, die Gould nach eigener Auskunft in seinem Journal verwendet, darzustellen. Dies dabei nicht aufdringlich, es sind dunkle Rot-, Blau und Brauntöne, aber ein bemerkenswertes Detail. Ein Buch, bei dem sich der Erwerb des Hardcovers auf jeden Fall lohnt.

“Goulds Buch der Fische” ist bereits Richard Flanagans dritter Roman und wurde von der weltweiten Kritik nicht nur enthusiastisch gefeiert, sondern auch mit Joyce, Melville, Faulkner, Dostojewski und anderen literarischen Größen verglichen. Der Autor, Jahrgang 1961, ist selbst tasmanischer Herkunft, hat in Oxford Geschichte studiert und lebt heute mit seiner Familie wieder in Hobart.
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In 12 Kapitel unterteilt, von jedes jeweils nach einem Fisch benannt ist, wird die Geschichte von William Buelow Gould erzählt, der im frühen19. Jahrhundert als Sträfling auf Sarah Island (vor Tasmanien, damals Van-Diemen's-Land) lebte und ein Buch mit Fischzeichnungen verfasst hat. Eine Einleitung erzählt, wie der Erzähler dieses kurzen modernen Teils, ein Kleinkrimineller, der sich sein Geld mit dem Verkauf von gefälschten Antiquitäten an Touristen verdient, eine unbekannte Fassung von Goulds Buch der Fische findet, welches nicht nur die Zeichnungen enthält, sondern auch dessen Lebensgeschichte, die dann in den weiteren Kapiteln erzählt wird.

Die Australier im Allgemeinen scheinen mir ein Faible für Kriminelle als Helden zu haben, eigentlich kein Wunder bei der Vergangenheit des Kontinents, aber trotzdem ungewöhnlich. Bei Flanagan, wie auch beispielsweise bei Peter Carey, findet sich ein pfiffiger Held, der sich nicht ans Gesetz hält, und zumindest einige Zeit geschickt immer wieder der Strafverfolgung entkommt. Leider entspricht das nicht wirklich meinem Lieblingsheldentyp, diese pfiffigen Kerlchen und ihr Schicksal lassen mich relativ kalt, wie ich mittlerweile feststellen musste.

Trotz des typisch australischen Helden, entspricht Flanagans Buch nicht dem sonst dazugehörigen Stil. Er lehnt diese romantische "wir waren die armen Sträflinge, eigentlich rechtschaffen, aber von den bösen englischen Soldaten unterdrückt" - Einstellung, die ich erwartet hätte, eindeutig ab. Er entmystifiziert die sonst romantisierte Vergangenheit: das Sträflingsleben war brutal und man lernte schnell sich anzupassen und für den kleinsten Vorteil zu lügen, zu betrügen und seine "Kameraden" zu verpfeifen, wenn es irgendwie nützlich war. Wer sich anders verhielt, hat einfach nicht lange überlebt.

Das Motiv der Fische, deren Zeichnungen den Kapiteln vorangestellt sind, zieht sich durch das gesamte Buch, die Fische sind nicht einfach nur Fische, sondern finden in den ihnen zugeteilten Charakteristika Entsprechungen in der Umgebung Goulds, so dass die Struktur in sich schlüssig ist. Allerdings driftet der Inhalt der Erzählung, von Zeitsprüngen durchzogen, im Verlauf der Kapitel immer mehr ins Phantastische ab und wird dabei immer verwirrender. Einige Teile wirkten wie in einem Opiumrausch erlebt bzw. erzählt und der Realität völlig entrückt. Dabei ist es nicht förderlich für das Verständnis, wenn ab und zu einige Sätze von Billy in der dritten Person sprechen, während er das meiste eigentlich in der Ich-Form selbst erzählt. Dadurch distanziert er sich immer wieder von sich selbst und macht seine Lebensgeschichte zu irgendeiner allgemeingültigen Geschichte. Was wirklich auf Sarah Island geschehen ist oder auch nur Geschehen sein könnte lässt Flanagan absichtlich offen, zur Wahrheit wird das, dem der entsprechende Stempel aufgedrückt wird.

Trotz meiner Kritikpunkte habe ich mir einige Stellen in dem Buch markiert, so beeindruckend und merkenswert fand ich sie. Das passiert mir nicht oft und alleine aus diesem Grund möchte ich die Lektüre von "Goulds Buch der Fische" jedem grundsätzlich ans Herz legen - nur die Garantie dass ein potentieller Leser das Buch auch mag, werde ich ganz gewiss nicht abgeben.
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