Hilal SezginHilal Sezgin, geboren 1970, studierte Philosophie in Frankfurt am Main und arbeitete danach mehrere Jahre im Feuilleton der Frankfurter Rundschau. Seit 2007 lebt sie als freie Schriftstellerin und Journalistin in der Lüneburger Heide. Sie schreibt u.a.für DIE ZEIT und die Süddeutsche Zeitung sowie als Kolumnistin für die Meinungsseite der taz, das Feuilleton der Frankfurter Rundschau und der Berliner Zeitung. Ihre publizistischen Themen sind hauptsächlich Tierethik und Tierrechte, Feminismus, Philosophie und Islam, Islamfeindlichkeit und Multikulti.

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Susanne: Liebe Hilal, vielen Dank, dass du dir Zeit für dieses Interview nimmst. Du lebst seit einigen Jahren sehr ländlich und hast unter anderem ziemlich viele Schafe unter Deiner Obhut. Das klingt für die meisten erst mal sehr idyllisch, aber da ich selbst ebenfalls auf dem Land lebe mit recht vielen Tieren (die ich ebenfalls alleine versorge), weiß ich genau: Das ist bei weitem nicht immer ein Zuckerschlecken. Doch lassen wir in diesem Interview die negativen Dinge außer acht. Ich frage dich lieber: Was ist die schönste Begebenheit, die dir zuletzt mit den Tieren passiert ist?

Hilal Sezgin: Das Schönste war, wie jeden Morgen, als ich die Schafe auf die Weide gelassen habe (sie müssen zum Schutz vor Wölfen neuerdings nachts immer in ein umzäuntes Gebiet). Und dann begrüßen sie mich so lieb und beschnuppern mich und begleiten mich bei meinen ersten morgendlichen Schritten.

Susanne: Woran arbeitest Du gerade? Erzähle doch ein bisschen was über Deine aktuellen Buchprojekte.

Hilal Sezgin: Das bleibt mein Geheimnis! :-)

Susanne: Befasst man sich mit Tierrechten, gräbt man tief in den Sümpfen der Menschheit. Was tust du in den Momenten für dich, wenn du das Gefühl hast, das alles nicht mehr ertagen zu können?

Artgerecht ist nur die FreiheitHilal Sezgin: Ich habe das zum Glück nicht so oft, weil man über die Tierrechtsarbeit viele tolle, liebevolle, reflektierte, engagierte Menschen kennenlernt. Aber letzte Woche… Da habe ich drei Interviews mit Tierärzten geführt, die im Schlachthof arbei(te)ten; und mit einer Frau, die den Unfall eines Schweinetransporters miterlebt haben. Da ging es mir ein paar Tage ziemlich schlecht, denn das macht einem Angst … Was hab ich da gemacht? Liebe Menschen weinend auf dem Handy angerufen, mal ein paar Tage das Thema weggelegt. Spazierengehen, Yoga und Schokolade.

Susanne: Gibt es ein besonders bemerkenswertes Erfolgserlebnis, das du bei der Tierrechtsarbeit hattest?

Hilal Sezgin: Ich finde, wir – die Tierrechtsbewegung – haben dieses Jahr einige tolle Erfolge erzielt, der größte: dass in der breiten gesellschaftlichen Öffentlichkeit über die Frage diskutiert wird, ob wir Tieren das antun dürfen, was wir ihnen bislang antun. Ob wir sie einsperren und essen dürfen. Die meisten Menschen bejahen diese Frage (noch?), aber bereits das ist ein großer Fortschritt: Es ist nicht mehr einfach selbstverständlich, so etwas mit anderen Lebewesen anzustellen, man muss ein paar Antworten geben. – Und wir haben die besseren Antworten. Ganz ehrlich: Sie haben die Tradition, wir aber haben die Argumente auf unserer Seite.

Susanne: Welches sind deine ganz besonderen Glücksmomente?

Hilal Sezgin: Wenn sich Menschen bei mir bedanken, für Texte, oder nach Lesungen, und ich merke: Die leiden an demselben wie ich, die sehen das politisch ähnlich, die wollen dasselbe verändern – und sie finden gut, was ich mache. Auch auf facebook übrigens: Wenn ich kompliziertere Diskussion vorhabe, mit Landwirten zum Beispiel, schicken mir Freunde und Unbekannte Unterstützung. Das trägt mich, weil ich dann zwar an dem Abend allein unter Schweinemästern bin, aber eben nicht allein auf der Welt.

Hilal Sezgins TierlebenSusanne: Sieht man sich die vegane Szene und die Tierrechtsszene etwas genauer an, dann  gewinnt man den Eindruck, dass sich immer wieder verschiedene Fronten aufbauen. Hat sie Deiner Meinung nach auch besondere Stärken? Wo liegen sie und wie könnte die Szene diese Stärken ausbauen?

Hilal Sezgin: Unsere Stärken sind: Elan. Wissen. Argumente. Empathie. Visionen. Der Wille, etwas zu probieren, was momentan noch in sehr weiter Ferne liegt. Hilfsbereitschaft haben wir auch – ich habe nirgends in meinem Leben so viel Großzügigkeit und Hilfsbereitschaft erlebt wie unter Veganern. Was wir brauchen ist: GeduldGeduldGeduld. Und Freundlichkeit, soweit wir es hinkriegen… Ich weiß, es ist nicht immer leicht, noch auf die dösigste Frage, die man schon zum 100. Mal gehört hat, nett zu antworten. Aber Beschimpfungen und Aggressionen gegen „Fleischfresser“ helfen nicht weiter. Wenn man sich mal „auskotzen“ muss, lieber unter wenigen Freunden, das braucht man manchmal – aber ich glaube, wir dürfen uns in unserer Wut nicht verbeißen. Unsere Wut auf die Tierindustrie, oder auf die, die sie weitermachen lassen.

Wut ist verständlich und auch gut, wenn sie ein Motor ist für eine Vorwärtsbewegung; aber Wut darf uns nicht selbst zum Hindernis werden, so dass wir nur noch Frust schieben.
Entschuldigung, das ist eher so eine privatistische Antwort – wie man also mit den eigenen Gefühlen umgehen soll. Aber da sehe ich die größte Gefahr. Auch wenn Leute andauernd auf facebook grausame Bilder von Tiermisshandlungen rausballern, die ihnen selbst weh tun, die anderen Veganern wehtun – und die Omnis veranlassen, die Person ganz zu sperren. Wir müssen achtgeben, uns und einander nicht noch mehr weh zu tun, als ohnehin schon passiert, unvermeidlich. Wir leiden ja alle unter den Verhältnissen.

Von einer, die raus zogAber ansonsten, denke ich, machen wir alles richtig. Wir vernetzen uns gut. Wir benutzen 1000 Aktionsformen – Flugis, Leserbriefe, onlinekommentare, Demos, Aufklärung, vegane Geschenke im Freundeskreis, Kochen und Backen. Ein toller Vorzug unserer Bewegung: Wir können bereits Politik machen, indem wir Mini-Muffins backen und sie an Leute auf der Straße verschenken. Wir haben auch schöne Dinge anzubieten. Und Veganer überall verbreiten unsere Idee auf allen Ebenen und unter allen möglichen Menschen.

Susanne: Und was liest du gerade?

Hilal Sezgin: Auf diese Frage sollte ich eigentlich eher ein Foto schicken statt eine Antwort zu geben, denn ich habe hier gerade so Stapel  mit Büchern, die ich voller Vorfreude betrachte, aber es geht nicht recht voran. Ist das ein Altersproblem, dass man die Bücher oft nicht zu Ende gelesen kriegt? Jedenfalls lese ich gerade eine Biografie von Lucretia Mott. Sie war eine amerikanische Abolitionistin und Frauenrechtlerin – ehrlich gesagt hoffe ich, dass wir uns da vielleicht was abgucken können. Aber es ist sowieso schön, sich immer mal wieder zu erinnern: Durch die ganze Geschichte hindurch haben Leute für etwas gekämpft, für das sie von Zeitgenossen ausgelacht oder verfemt wurde. Sie haben das selten so hingekriegt, wie sie es sich gewünscht hätten. Aber wo stünden wir heute ohne sie?

Susanne:  Nochmals danke, dass du dir die Zeit genommen hast. Ich wünsche dir bei deiner Arbeit weiterhin viel Kraft und Erfolg.

Das Interview wurde geführt von Susanne Kasper.

© Autorenfoto: Ilona Habben

© Autorenintro: Webseite Hilal Sezgin

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