Franz Kotteder wurde 1963 geboren und arbeitet seit 1991 als Redakteur bei der Süddeutschen Zeitung mit Schwerpunkt Kulturthemen. Außerdem ist er Autor politischer Sachbücher. Derzeit lebt er in München.

Literaturschock: Sie arbeiten bei der Süddeutschen Zeitung als Redakteur mit dem Schwerpunkt Kulturthemen. Wie kamen Sie auf die Idee ein Buch wie "Die Billig-Lüge" zu schreiben?

Franz Kotteder: Als Journalist ist man zwangsläufig neugierig. Und ich fand es schon erstaunlich, wie die Herren des deutschen Discounts einerseits zu den reichsten Menschen der Welt werden konnten und andererseits angeblich beste Qualität zu niedrigsten Preisen bieten konnten. Da sagt einem doch die Logik: Entweder sind dann alle anderen Einzelhändler Trottel, oder irgendjemand zahlt bei der ganzen Geschichte erheblich drauf. Und dann ist es durchaus auch eine kulturelle Frage, wie es denn dazu kommen konnte, dass die Gesellschaft dermaßen dem Billig-Wahn verfallen ist. Kultur ist ja letztlich Luxus; sie muss einem „etwas wert“ sein. Insofern ist die Frage des „wahren Werts von Waren“ durchaus auch eine kulturkritische. Und ganz abgesehen davon muss ich auch gelegentlich einkaufen gehen...

Literaturschock: Mit dem Buch schwimmen Sie derzeit massiv gegen den deutschen Sparsamkeitswahn. Das Schweizer Netzmagazin bezeichnet "Die Billig-Lüge" gar reißerisch als "knallhartes Enthüllungsbuch". Wollten Sie damit wirklich knallhart enthüllen, oder haben Sie einfach nur von uns allgemein gerne verdrängte Tatsachen ins Bewusstsein zurückgerufen?

Franz Kotteder: Eigentlich beides. Viele der geschilderten Fakten in meinem Buch sind zwar keine Enthüllungen in dem Sinne, dass sie dort erstmals berichtet würden. Aber sie werden dort doch erstmals in einen größeren Zusammenhang gestellt. Und manches ist mir auch selbst erst bei der Recherche für das Buch klar geworden. Ich glaube, dass sich das Kaufverhalten der Bevölkerung sicher sehr ändern würde, wenn ihr klarer wäre, warum manche Waren so unglaublich billig sind. Bei Käfig-Eiern weiß heute nahezu jeder, unter welchen tierquälerischen Bedingungen sie produziert werden – und weil sich Eier aus Legebatterien inzwischen auch schlechter verkaufen als früher, haben einige Discounter sie auch aus dem Sortiment genommen. Das ist ein Fortschritt, finde ich. Zugleich aber wissen zum Beispiel nur wenige, dass das billige Suppenhuhn aus dem Kühlregal in aller Regel auch aus der Legebatterie kommt. Es handelt sich dabei nämlich um die Legehenne, die 14 Monate lang mit allerlei Pharmaka behandelt wurde, damit sie nicht krepiert und weiter Eier legen kann. Wir kochen das Tier dann aus und machen eine Suppe draus... Wüssten mehr Verbraucher das, würden sie das Huhn wohl gar nicht erst kaufen, und zwar nicht nur aus Mitleid.

Literaturschock: Die Große Koalition steht und nun hat Deutschland mit Angela Merkel zum ersten Mal eine Bundeskanzlerin - eine Chance für die Zukunft im Angesicht der geplanten Beschlüsse? Oder schon wieder ein Schritt in die falsche Richtung?

Franz Kotteder: Das lässt sich jetzt noch nicht so ganz beurteilen, glaube ich. Es gibt einige Mut machende Anzeichen: Wenn der neue Landwirtschafts- und Verbraucherminister Horst Seehofer sagt, der jüngste Gammelfleisch-Skandal habe auch mit der Geiz-ist-geil-Mentalität zu tun, dann liegt er sicher richtig, und auch das möglicherweise kommende Verbot von Rabattschlachten wäre wohl sinnvoll. Ich fürchte nur, bei solchen, eher kosmetischen Eingriffen wird es bleiben. Tatsächlich ginge es beispielsweise auch darum, eine absurde Landwirtschaftspolitik auf EU-Ebene zu verändern, die einseitig industrielle Tierproduktion fördert. So etwas wird freilich länger dauern. Dazu ist eben auch ein Werte-Wandel nötig, der eben gerade nicht auf die Wahrung von Besitzstand abzielt. Nicht nur bei Großbauern oder besser industriellen Tier- und Nahrungsmittelproduzenten, sondern übrigens auch beim Verbraucher, der ja auf billigen Preisen zu beharren scheint. Ich sehe da aber gar nicht so schwarz. Diese neue Werte-Diskussion hat ja schon begonnen, und es ist meines Erachtens eine fast deckungsgleiche Übereinstimmung zwischen den verschiedensten gesellschaftlichen Gruppen zu beobachten. Das reicht von der Linkspartei auf der einen Seite bis hin zu streng Konservativen und zu Papst Benedikt XVI. Die sind in diesen Fragen gar nicht weit auseinander.

Literaturschock: Einer Umfrage zufolge wollten viele Verbraucher beim diesjährigen Weihnachtseinkauf ihr Geld zusammenhalten und ihre Ausgaben für Geschenke einschränken. Ein Europa-Vergleich beweist auch: Die Deutschen wollen ihre Weihnachtsausgaben am stärksten begrenzen. Dabei geht es Deutschland finanziell noch viel besser als manch anderen Völkern. Woran liegt es, dass vor allem in Deutschland die "Geiz ist geil" Manie zum Volkssport mutiert? Man könnte meinen, dass andere Länder dieses Problem besser im Griff haben?

Franz Kotteder: Ganz so stimmt das nicht. Die deutschen Discounter feiern ja auch im Ausland große Erfolge – insbesondere übrigens in Frankreich, wo man ihnen am allerwenigsten Chancen gegeben hat. In Deutschland hat dieses Modell freilich seinen Anfang genommen in Europa, und das hat vielleicht ein wenig zu tun mit der Nachkriegszeit und dem Wirtschaftswunder: Erst konnte man sich nichts leisten, dann ging es plötzlich, und gleichzeitig sollte es möglichst billig sein... Zugleich ließen viele Markenhersteller in der Hoffnung auf die schnelle Mark ihre Produkte bei Discountern unter anderem Namen und mit niedrigerem Preis verkaufen. Das hat natürlich beim Verbraucher den Eindruck erweckt, er sei der Gelackmeierte, wenn er nicht zum Discounter geht, wo es da doch das gleiche Produkt, nur unter anderem Namen, viel günstiger gibt. Das sind sicher besondere Umstände, die es so eigentlich nur in Deutschland gab. Aber als „typisch deutsch“ oder als eine Mentalitätsfrage sehe ich das nicht.

Literaturschock: Ich habe den Eindruck, dass genau die Menschen, die auf der ewigen Schnäppchenjagd sind, am lautesten jammern, weil ihnen durch Discounter Arbeitsplätze verloren gehen. Wird in Deutschland nicht allzu oft auf viel zu hohem Niveau gejammert?

Franz Kotteder: Kommt immer darauf an, welchen Maßstab man anlegt. Verglichen mit einer Fabrikarbeiterin in Bangladesh, die bis zu 15 Stunden täglich schuftet und dafür gerade mal einen Euro bekommt, geht’s wohl den allermeisten von uns prächtig. Allerdings fände ich es zynisch, das einem gerade entlassenen AEG-Arbeiter zu sagen, der seinen Job verloren hat, weil man Waschmaschinen in Polen billiger zusammenbaut. Vielen bleibt halt inzwischen tatsächlich nichts anderes mehr übrig, als möglichst günstig einzukaufen.

Literaturschock: Kaufen die Menschen tatsächlich weniger ein, weil sie weniger Geld haben als früher oder sind sie einfach gesättigt, des Überflusses überdrüssig?

Franz Kotteder: Bei einigen wenigen mag das zutreffen. Ich kenne allerdings keinen, der sich darüber beschwert, er habe alles im Überfluss... Tatsächlich ist es ja so, dass unsere Reallöhne seit vielen Jahren sinken – das heißt, was wir monatlich bekommen, hat nicht mehr die gleiche Kaufkraft wie noch vor 20 Jahren. Dass man dann auch weniger ausgeben kann, ist nur logisch. Und dieser Trend wird sich wohl auch fortsetzen.

Literaturschock: In "Die Billig-Lüge" schildern Sie ein düsteres Szenario mit der Hauptaussage, dass wir uns irgendwann nichts anderes mehr leisten können, als in Discountern einzukaufen. Glauben Sie zur Zeit an die Unabwendbarkeit dieser Prophezeiung?

Franz Kotteder: Unabwendbar ist eigentlich kaum etwas. Ich bin aber überzeugt davon, dass auf längere Sicht nicht nur eine bestimmte Preiskategorie wegbrechen wird, sondern auch eine gewisse Qualitätsebene verschwinden wird – der kleine Bäcker am Eck, der berühmte Tante-Emma-Laden, der Elektroeinzelhändler: Die sind ja in weiten Teilen schon aus der Landschaft verschwunden. Dafür haben wir jetzt in den Städten zum Beispiel die hochpreisigen Bioläden für die Mittelschicht oder Versandunternehmen, die mit Slogans werben wie: „Es gibt sie noch, die guten Dinge“ und entsprechend teuer sind. Dahin wird die Entwicklung gehen: Entweder Billigprodukte und Einheitsware für jedermann oder Delikatessen und Luxuserzeugnisse für jene, die nicht aufs Geld schauen müssen oder sich zwischendrin auch mal was leisten wollen.

Literaturschock: Einerseits raten Sie in Ihrem Buch zu bewusstem Einkaufen, andererseits warnen Sie vor Boykottmaßnahmen - für mich klingt das wie ein Eierlauf und ich könnte mir vorstellen, dass viele Verbraucher gar nicht mehr wissen, was sie wo einkaufen sollten. Haben Sie für Ihre Leser konkrete Einkaufstipps?

Franz Kotteder: Es ist immer die Frage, was man außer dem Preis noch alles „in Kauf“ zu nehmen bereit ist. Wenn einem tierquälerische Fleischproduktion oder Kinderarbeit nichts ausmachen, kann man natürlich alles überall kaufen. Wenn doch, dann wird man nicht darum herumkommen, sich dafür zu interessieren, wo die Waren herkommen. Bei den Käfigeiern hat das schon funktioniert, weil die Verbraucher über die Herstellungsbedingungen gut Bescheid wissen. Die führen manche Discounter schon nicht mehr im Sortiment, weil sie sich nicht gut verkaufen. Milch wird oft unter dem Herstellungspreis verramscht, Orangen für Saft und Rohkakao für Schokolade werden meist unter ausbeuterischen Bedingungen geerntet, Garnelen mit extrem umweltschädigenden Auswirkungen gezüchtet. Grundsätzlich gilt: Wenn etwas ganz erstaunlich billig ist, dann hat die Sache meistens einen Haken und kann nur deshalb so billig sein, weil irgendjemand dafür seinen Preis zahlen muss. Oft auch der Verbraucher selbst, wenn er nämlich Schrott erwirbt.

Literaturschock: Da es sich bei Literaturschock um eine sehr belletristiklastige Webseite handelt, darf natürlich nicht die Frage fehlen, ob und was sie ansonsten lesen? Gibt es da Lieblingsbücher und Lieblingsschriftsteller oder bleibt neben Ihrer Arbeit und dem Schreiben dafür keine Zeit?

Franz Kotteder: Es bleibt viel zu wenig Zeit. Wenn man vom Lesen leben könnte, wär’s mir recht. Besonders schätze ich T. C. Boyle, weil er ernste, existenzielle Themen mit spielerischer Leichtigkeit behandeln kann, ohne sie irgendwie zu verraten, und weil er nicht selbstverliebt ist wie so viele Schriftsteller. Das ist überhaupt ein Qualitätsmerkmal, finde ich. Man muss vorsichtig sein mit Autoren, deren Erstlinge 250 Seiten dick sind, und deren aktuelle Bücher 1000 Seiten messen (der neue John Irving!). Ansonsten ist die Frage sehr schwierig zu beantworten: Ich habe etwa 50 Lieblingsschriftsteller/innen (grob geschätzt), von denen ich zwar kaum einen/eine rückhaltlos bewundere, aber die ich je nach Stimmungslage doch sehr schätze. Grundsätzlich mag ich ernsthafte Botschaften, die hinausgehen über die Aussage: „Ich bin ein toller Schreiber“ und die ansprechend verpackt sind – da ist es dann fast schon egal, wie: ob sentimental, spannend, reißerisch oder ironisch-sarkastisch. Am besten alles zusammen. An Namen fallen mir spontan ein: Jorge Semprun. Manuel Vazquez Montalban, Siri Hustvedt, Friedrich Ani, Wolf Haas, Nick Hornby, Georges Simenon, Ian McEwan, Gerhard Polt, John O’Farrell.

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