Leander Sukov: Weshalb ich aus der evangelischen Kirche ausgetreten bin

Die Menschen, die da über das Mittelmeer oder aus dem Balkan zu uns kommen, brauchen unseren Schutz, unsere Hilfe, unseren Respekt und unsere Solidarität. Sie haben das Recht, die Werte einzufordern, auf die vorgeblich Europa gegründet ist. Sie zu teilen in gute und schlechte Flüchtlinge, in „Wirtschaftsflüchtlinge“ und jene, die vor Kriegen und Verfolgung fliehen, geht in Allem an der Sache vorbei.

Zeit, Verantwortung zu übernehmen

Die Roma, die aus dem Elend des Kosovos fliehen, aber auch vor den Repressalien in anderen Staaten des ehemaligen Jugoslawien fliehen ebenso um ihr Leben, wie andere. Auch wenn dort keine Bomben mehr fallen, so ist die Situation doch jeder Würde, jeden Respekts abhold. Wir aber haben den Kosovo geschaffen, er ist auf dem Beet mafiöse Strukturen gewachsen und besteht als Staat nur dem Anschein nach.

Und in dieser Farce von Staat haben wir die zurückgelassen, die sofort Opfer rassistischer Verfolgung wurden. Sie fliehen nun zu uns. Und es ist unsere Verantwortung ihnen eine Zukunft zu bieten, weil unsere politischen Ränkespiele ihnen die ihre genommen haben.

Festung Europa

Die Flüchtlinge aus Afrika, oft geschickt von ihren Familien als Anchorman, sollen ganze Dörfer vor dem Untergang retten. Gesandt von Menschen, die nicht mehr ein noch aus wissen, die alles verloren haben oder aber alles zu verlieren aus gutem Grund befürchten, diese Menschen sollen wir wieder zurückschicken, in das afrikanische Elend, in die Not auf dem Balkan? Wir sind es doch, die ein gerüttelt Maß Schuld tragen an den Zuständen dort.

Es sind die Ölkonzerne des Westens, die Nigerias Flüsse verseucht haben und damit die Agrikultur schädigen; es sind die Diamanten- und Goldhandelsunternehmen, die für die katastrophalen politischen Zustände im Kongo und anderswo gesorgt haben. Es sind die europäischen Agrarsubventionen, die dazu führen, dass landwirtschaftliche Produkte nach Afrika exportiert werden, deren Preise unter denen liegen, zu denen Bauern dort noch ertragreich anbauen können. Unsere Kleiderspenden, die dann nach Benin und anderswohin verkauft worden sind, haben zum Zusammenbruch eines großen Teils der afrikanischen Textilindustrie geführt.

Letztlich sind es wir

Wir tragen an der Schuld mit, die alle westlichen Staaten auf sich gehäuft haben als Preis für immer mehr Profit. Und mit unserer Schuldigkeit kommt unsere Pflicht. Wir dürfen nicht so pflichtvergessen sein, uns ihrer entziehen zu wollen.

Ja, ich weiß: Wir ist ein lappiges Wort dafür. Aber man kann nicht ständig trennen zwischen dem deutschen Staat oder der Europäischen Gemeinschaft und den verschiedenen politischen Gruppen der Bevölkerung. Letztlich sind es wir. Die, die zugestimmt haben, weil sie die Regierungen Schröder und Merkel durch ihr Votum unterstützt und möglich gemacht haben; die, die nicht stark genug waren, es zu verhindern und jene, die meinen, sie wären unpolitisch, Nichtwähler aus Desinteresse oder Enttäuschung gar. Wir scheint mir also zu stimmen.

Das Versagen der Kirche

Und diese Wir sind es auch, die verantwortlich dafür sind, den Flüchtlingen aus Nigeria oder Sierra Leone, aus Kamerun und sonstwoher ein Leben in Würde und mit Perspektiven zu ermöglichen. Es ist unsere Pflicht. Eine Pflicht, die für Christen höher wiegen mag – ich empfinde es so – als für andere. Gerade sie, gerade dann, wenn sie in leitenden Funktionen in einer Kirche tätig sind, dürfen nicht die Flüchtlinge auseinanderdividieren; nein, sie müssen sich solchem Ansinnen strikt entgegenstellen.

Lampedusa

Versagen sie darin und versagt die Kirche darin, sie – ich will dafür dieses schon fast vergessene Wort benutzten – zu berufen, ihnen also zuzurufen, dass sie falsch liegen und sich entgegen ihrer christlichen Pflicht äußern, dann braucht diese Kirche mich nicht mehr.

Die evangelischen Landesbischöfe von Hannover und Sachsen haben aber eben dieses getan. Sie haben die, die uns um ihren Schutz ersuchen, die von uns Respekt, Menschenwürde und eine Zukunft erhoffen, in gute und schlechte geteilt, in jene, die man bleiben lässt, weil sie von Krieg und Bürgerkrieg bedroht sind und jene, die man zurückschickt, weil ein Leben auf Müllkippen, bedroht von faschistischen Schlägerbanden und dem Mob aus dem Dorf nebenan nicht ausreicht, um sich hierher flüchten zu dürfen?

Wir brauchen die Flüchtlinge

Wenn man die Zahl von 50.000.000 Millionen Flüchtlingen als gesetzt nimmt, die in den kommenden zwanzig Jahren an unsere Türen klopfen werden, so wäre das genau jene Zahl, die Europa als demoskopischen Verlust verbuchen muss. Europa hat – noch – 550.000.000 Millionen Einwohner. Die fünfzig Millionen Flüchtlinge wären ein Segen, kein Grauen.

Kinder

Wir haben Landstriche, in Deutschland, in Frankreich, in Spanien und anderswo, in denen Dörfer leerstehen und Äcker brach liegen, wir haben in Spanien, aber nicht nur dort, sich ausbreitende Wüsten, auch deshalb, weil die Landwirtschaft in der Fläche zurückgeht. Wir haben überall auf dem sogenannten flachen Land Ärztemangel und einen Mangel an Handwerkern. Zugleich nutzen wir die Fähigkeiten der Flüchtlingen nicht.

Die Unfähigkeit, aus der Vergangenheit zu lernen

Wir lassen die Ärzte aus Syrien oder dem Irak nicht praktizieren, wenn die langwierigen Asylverfahren nicht abgeschlossen sind, wir verweigern Klempnern aus dem Kosovo die Arbeitsaufnahme und verwehren ihnen das Bleiberecht. Und vor den Flüchtlingsheimen stehen die Dummen der Dümmsten zusammen mit ihren Schafshirten, den rechten Scharfmachern, den Rassisten und Chauvinisten, den Neo-Nazis und Nationalisten und brüllen den traumatisierten Opfern von Krieg, Verfolgung und Vertreibung ihren dumpfen Hass entgegen.

Man solle die Festung Europa schleifen – schon 2013 haben wir, 21 Künstler, darunter André Heller, Konstantin Wecker, Hannes Wader, Robert Stadlober, Max Prosa, auf meine Initiative hin gefordert, die Flüchtlingspolitik der EU grundlegend zu verändern.

Sie finden diese Resolution als Petition unter Schleift die Festung Europa

Die Landesbischöfe von Hannover und Sachsen aber fordern schnellere Abschiebungen der Flüchtlinge aus dem Balkan. Ich bin aus der Kirche ausgetreten. Ich bin mir sicher, Gottes Segen habe ich.

Weiterführende Links:

Webseite Leander Sukov

Leander Sukov & Social Media Facebook

Bildnachweise:

Festung Europa & Kinder: Pixabay
Boat People at Sicily in the Mediterranean Sea“ von Vito Manzari from Martina Franca (TA), Italy - Immigrati Lampedusa. Lizenziert unter CC BY 2.0 über Wikimedia Commons.

Sören HeimÜber den Autor

Leander Sukov

Leander Sukov, 1957 in Hamburg als Martin Timm geboren, schreibt seit seiner Jugendzeit. Schon früh veröffentlichte er Gedichte in Literaturzeitschriften, Kurzgeschichten und Novellen folgten. Sukov ist u.a. Mitglied der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft, des Verbandes deutscher Schriftsteller und gehört dem PEN Zentrum Deutschland an (Foto: Patricia Heidrich)

 

Kontakt: Webseite Leander Sukov | Facebook | Twitter

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