Andrea Levy: Das lange Lied eines Lebens

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Andrea Levy: Das lange Lied eines Lebens
Verlag
ET (D)
2011
Ausgabe
Gebundene Ausgabe
Originaltitel
The Long Song
ET (Original)
2010
ISBN-13
9783421044839

Informationen zum Buch

Seiten
368

Sonstiges

Übersetzer/in
Erster Satz
Es war vorbei, kaum dass es begonnen hatte.

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Handlungsort

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Jamaika, Mitte des 19. Jahrhunderts. Sie war einst Haussklavin auf der Zuckerplantage Amity und hat bewegte Zeiten hinter sich. Nun, viele Jahre nachdem sich ihre Brüder und Schwestern die Freiheit mit Blut erkauften, drängt es die inzwischen betagte Miss July ihrem Sohn, einem angesehenen Verleger, die Geschichte ihres Lebens zu offenbaren - und ihm zu erklären, warum sie gezwungen war, ihn als Säugling auf den Stufen einer Pfarrei auszusetzen. So beginnt sie mit großer Lust am Fabulieren von jener Zeit zu erzählen, als sie die rechte Hand der Missus auf der Plantage war. Bis der junge Goodwin seine Arbeit als Aufseher aufnahm und für July ein Leben unter anderen Vorzeichen anfing. Die unvergessliche Geschichte einer Emanzipation und zugleich ein erschütternder Bericht über die letzten Tage der Sklaverei, dargeboten von einer Ich-Erzählerin, die uns aufschreien lässt gegen die Unmenschlichkeit, die uns aber immer auch mit ihrem Lachen versöhnt. Denn sie führt uns vor Augen, welche Kräfte der Glaube an Veränderung wecken kann, welche Kraft die Freiheit birgt.

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Die hochbetagte Miss July lebt Ende des 19 Jahrhunderts bei ihrem Sohn, einem Drucker und seiner Familie auf Jamaika. Als Sklavin geboren hat Miss July ein sehr bewegtes Leben hinter sich und entschließt sich schließlich mit Hilfe ihres Sohnes ihre Lebensgeschichte aufzuschreiben. Begonnen bei ihrer Geburt, über ihre Tätigkeit als Haussklavin bis hin zu den Zeiten, als die Sklaverei auf Jamaika offiziell als abgeschafft galt, aber inoffiziell noch viel schlimmer vorhanden war.

Das Buch beginnt mit einem Vorwort von Miss Julys Sohn Thomas, der eine Hinführung auf die Lebensgeschichte seiner Mutter gibt. Im weiteren Verlauf erzählt nur noch Miss July. Dabei wechselt sie in die Ich-Form, wenn sie aus der Gegenwart berichtet und wechselt in die 3. Person, wenn sie ihre Lebensgeschichte erzählt.

Die Erzählung selber wird in einer fast kindlichen Sprache vorgetragen und ich hatte eher das Gefühl, dass diese Sprache mit Absicht gewählt wurde, damit die Erzählerin alles mit Abstand wiedergeben kann. Durch diese teilweise einfache, auch oft mit Slang-Ausdrücken versehene Erzählweise, denkt man als Leser zuerst, man liest eine ganz lockere Lektüre. Aber gerade dieser leichte Tonfall hat auf mich dann oft viel stärker gewirkt und die Brutalität und Grausamkeit der Sklaverei wurde dadurch für mich oft viel intensiver fühlbar und hat mich oft sehr erschüttert.

Als Leser verfolgt man in diesem lockeren Tonfall, wie die Weißen den Schwarzen einfach die Kinder wegnehmen, sie irgendwo anders hin verkaufen und in den Schwarzen einfach oft noch weniger sehen, als in ihrem Vieh, dass sie füttern. Miss July hat noch quasi ein "gutes" Leben, da sie als Haussklavin einer weißen Missus dienen muss, aber dafür nicht die harte Arbeit auf den Zuckerrohrplantagen verrichten muss.

Die Arbeit dort wird jedoch auch ohne Schnörkel geschildert und alleine bei der Vorstellung, was die armen Menschen da tagein, tagaus verrichten mussten, war mein Entsetzen oft gar nicht zu beschreiben.

Miss July schildert sich selber oft sehr distanziert und beschreibt keine Gefühle. Aber gerade diese Beschreibung trägt dazu bei, dass für mich als Leser ihre Gefühle intensiv fühlbar waren und ich doch auch oft hart schlucken musste.

Sehr mitgenommen haben mich dann die Passagen, in denen Miss July sich eine gute Wendung ausdenkt und schließlich klar wird, dass das Gute gerade nur Wunschdenken von ihr war und ihr wahres Leben nicht so verlaufen ist.

Die Befreiung der Sklaven durch die englische Regierung, die einfach erklären, dass es ab sofort keine Sklaverei mehr gibt, wird auch thematisiert und am Beispiel von Miss July gezeigt, dass man zwar vieles verkünden kann, aber das Handeln und Denken der Menschen sich nicht von heute auf morgen ändert. Auch wird hier wieder sehr gut gezeigt, dass es zwar Weiße gab, die nach der Abschaffung der Sklaverei verlangt haben, aber selber am liebsten nichts mit den Schwarzen zu tun haben wollten oder sie auch weiterhin für Menschen 2. Klasse gehalten haben.

Alles in allem ein Buch, dass mich sehr bewegt hat und mir noch viel Stoff zum Nachdenken gelassen hat. Die Autorin hat in ihrer wunderbar leichten Sprache ein sehr hartes und grausames Thema gekonnt aufbereitet und es trotz aller Grausamkeiten geschafft, mir als Leser auch etwas der Hoffnung zu vermitteln, die die Personen trägt.

Ein ganz großes Buch und ich kann gut nachvollziehen, dass das Buch für den Booker-Preis nominiert wurde. Für mich ein absoluter Buchtipp und bekommt dafür volle 5 Ratten.

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Die 1956 in London als Tochter jamaikanischer Einwanderer geborene britische Autorin Andrea Levy saß kulturell betrachtet schon immer zwischen zwei Stühlen. Sie weiß aus ihrer Tätigkeit in einer sozialen Einrichtung, was rassistische Übergriffe sind und wie man sie abwehrt, obwohl sie in ihrer Kindheit selbst wenig damit zu tun hatte. Sie arbeitete bei der BBC, gründete mit ihrem Mann eine Firma für Grafik-Design, studierte kreatives Schreiben und begann – weil es noch Ende der 1980er, Anfang der 1990er in England wenig bis keine schwarze Autoren gab, die sich mit der (nach-)kolonialen Vergangenheit des Vereinigten Königreiches beschäftigten – selbst darüber zu schreiben.

In ihrem ersten Roman (Every light in the house burnin‘) verarbeitete sie teilweise eigene Erfahrungen und auch ihre Folgeromane thematisierten schwarze Einwanderer in London, ihre Träume und Probleme, ihre Suche nach Wurzeln und Geschichte. Obwohl es anfangs eher unwahrscheinlich erschien, bekam sie bereits für ihren Debütroman mehrere Auszeichnungen und half mit, multiethnischen Autoren der britischen Gegenwartsliteratur den Weg zu ebnen.

Bisher sind ihrer zwei Bücher in deutscher Sprache erschienen. Nach dem 2007 beim Eichborn Verlag veröffentlichten Roman „Die englische Art von Glück“ (der von der BBC verfilmt wurde), brachte im März letzten Jahres die Deutsche Verlags-Anstalt Das lange Lied eines Lebens auf den hiesigen Buchmarkt. Mit ihrem fünften Roman lädt die Autorin ihre Leserschaft nach Jamaika ein. Nicht in das der Gegenwart, sondern in das Ende des 19. Jahrhunderts. In die Zeit ihrer Großeltern also. In eine Zeit, in der Levy sich neben historischer Recherche auch der Fiktion bedienen musste.

Das DVA-Cover zeigt einen Frauenkopf im Scherenschnittstil vor einem türkisblauen Hintergrund, einige exotisch anmutende Blüten und einen kleinen Kolibri. Ein einfach gestaltetes Cover also, dass sich mit dem gar nicht einfachen Leben einer einfach gehaltenen Frau beschäftigt.

Drei Jahrzehnte nach Abschaffung der Sklaverei durch die englische Königin drängt der Sohn der Hauptfigur July seine Mutter dazu, ihre Geschichte aufzuschreiben. Eigentlich wollte sie sie ihm nur erzählen. Das Verhältnis zwischen den beiden ist nicht das beste. Sie hat ihn als Baby ausgesetzt und möchte sich nun rechtfertigen. Er möchte, dass auch seine Kinder an dieser Geschichte teilhaben können. Offen und vollständig will er alle Geheimnisse und Geschehnisse niedergeschrieben sehen, ohne irgendwelche Ausflüchte zuzulassen. Er regt sich über seine Mutter auf, die sich dagegen sperrt, alles zu offenbaren.

Das Buch beginnt mit einem Vorwort des Sohnes, sodann lässt Levy July in erster Person direkt an den Leser gerichtet zu Wort kommen, bedient sich jedoch auch der Erzählung in dritter Person und Vergangenheitsform. In einfacher, eigentlich kindlicher Sprache webt sie ein Bild eines Systems, in dem sie als Tochter einer von ihrem Besitzer geschändeten Sklavin zur Welt kommt. July gibt vieles preis. Stück für Stück auch ein gut gehütetes Geheimnis im Bezug auf ihren Sohn. Allerdings auf eine Art und Weise, bei der sich nicht nur der Sohn am Ende des Romans in seinem Nachwort fragt, was Fiktion und was Wahrheit ist. Auch der Leser ist sich darüber stellenweise nicht ganz schlüssig.

Der gewählte Erzählstil, der leicht und gleichsam gefühllos distanziert wirkt, verstärkt das Erzählte. Er wirkt echt und wie so viele Geschichten, die sich mit Rassismus beschäftigen, erschüttert Julys Rückblick auf ihr Leben auf der Zuckerrohrplantage Amity. Es war umständlich und hart – allein im Hinblick auf den technischen Entwicklungsstand. Doch wirklich erschütternd ist der Blick auf die menschenverachtende Sklaverei. Familien wurden willkürlich, teils lediglich um des Profit willens, auseinander gerissen. Ein Leben zählte so gut wie nichts, denn es ganz ja immer Nachschub. Sklaven hatten in den Augen ihrer Besitzer keine Gefühle, von Rechten natürlich ganz zu schweigen. Die in ihrem Hochmut teils stupide wirkenden Besitzer unterstellten ihnen per se Dummheit, ja sprachen ihnen sogar das Menschsein ab. Das Leben wurde durch die offizielle Abschaffung der Sklaverei in den britischen Hoheitsgebieten nicht leichter. Der blutige Aufstand der Sklaven führte zu ihrer Vertreibung in weniger fruchtbare Gebiete Jamaikas. Die ehemaligen Sklavenhalter bedienten sich nicht aufständischer indischer Tagelöhner und unabhängig davon war da noch die Angst vor einer erneuten Versklavung bei einem Verkauf Jamaikas an das seit 1776 vom Vereinigten Königreich unabhängig erklärte Amerika. Nebenbei bemerkt war da die Sklaverei zwar offiziell schon seit 1865 abgeschafft, durch das Convict-lease-System blieben unzählige ehemalige Sklaven trotzdem mancherorts noch bis ins 20. Jahrhundert hinein in einem Zwangsarbeitssystem verstrickt.

Trotz all dieser Erfahrungen lässt July in ihrer Geschichte keinesfalls nur Trostlosigkeit und Wut, sondern gleichfalls Freude, Hoffnung und spitzbübisch auch eine gewisse Keckheit erkennen. Sie mag in den Augen ihrer Besitzer keine Intelligenz und Bildung besessen haben, die man aus Büchern lernen kann. Doch sie ist aufmerksam und besitzt die Bildung, die einem das Leben beschert. Manches erscheint so übertrieben, dass sofort klar ist, dass July sich diese Wendung ausgedacht hat; dass der Wunsch auf ein besseres Leben der Vater des Gedanken war. July, die die Sklaverei mit allen Höhen und Tiefen noch erleben musste, bedient sich dabei eines in dieser Zeit antrainierten Verhaltens. Mit ihren Übertreibungen und Verschleierungstaktiken, ihren Lügen und Ausweichmanövern schützt sie sich auch im Nachhinein noch vor Demütigungen, will imponieren oder beschämen.

Wie bereits erwähnt, sind all diese an sich aufwühlenden Dinge in gefühlskalten, distanzierten Worten vorgetragen. Anfangs hat mich das etwas gestört. Allerdings ging mir bald darauf auf, dass dies die einzig logische Art ist, so etwas zu erzählen. July und die anderen Sklaven wurden von klein auf mit der Nase darauf gestoßen, nichts wert zu sein. Keine Gefühle und Rechte zu haben. Sie wurden mit unabänderlichen Tatsachen konfrontiert ohne eine Wahl zu haben. Wer gewöhnt ist, eigene Entscheidungen treffen zu dürfen, sich einfach umdrehen und gehen zu können, würde vieles sicher anders erzählen. July musste jedoch ihre Gefühle tief in sich verschließen. So tief, dass vielleicht nicht einmal sie selbst sie wiederfand. Nicht nur um sich vor Schmerz und Enttäuschungen zu bewahren, sondern einfach, um in einem solchen unmenschlichen System zu überleben.

Bereits als kleines Kind wird July ihrer Mutter weggenommen und im Haus des Plantagenbesitzers als Mädchen für alles angelernt. Sie hat insoweit Glück, dass sie etwas später als persönlichen Dienerin der Schwester des Plantagenbesitzers eingesetzt wird. Durch diese Position erlangt sie eine gewisse Machtstellung, in gewisser Weise sogar über ihre Herrin. Doch Glück ist relativ. Denn auch in einer solchen Situation wurden die Sklaven erniedrigt und drangsaliert, ausgenutzt und missbraucht. Da hilft es auch nicht, dass man sich selbst (July sieht als Mulattin und nicht als Negerin) als etwas besseres (Haussklaven sind mehr wert als Feldsklaven) sieht. Ihre Herrin ist Ich-bezogen und verwöhnt. Melodramatisch meistert sie die Zeit nach dem Tod ihres Bruders (während des Sklavenaufstandes) mit Hilfe von Aufsehern, die kommen und gehen – bis Robert Goodwin erscheint. Der neue Aufseher und July freunden sich an. Doch eine offizielle Beziehung zu einer Farbigen war damals verpönt und so lässt er July, die sich in ihn verliebt hat, fallen sobald sich die Gelegenheit ergibt. July wird selbst Mutter – jenes Sohnes, der sie später dazu überredet, ihr Leben aufzuschreiben.

Fazit

Das lange Lied eines Lebens ist kein Buch, das man einfach so nebenbei liest. Es ist bedauerlicherweise vermutlich auch keines, das Massen begeistern wird. Zum einen wegen des gewöhnungsbedürftigen distanzierten Schreibstils. Zum anderen, weil es eines der unrühmlichen, unmenschlichen Kapitel der Menschheit beschreibt. Ein Kapitel, das bedauerlicherweise noch nicht in allen Teilen der Welt abgeschlossen ist. Levy hat sich eingehend mit der Thematik beschäftigt und das merkt man. Sie hebt den Finger ohne belehrend zu wirken. Ihr Buch rührt an, ohne pathetisch zu wirken. Es erschüttert und stößt ab,. Es stimmt nachdenklich und wühlt auf. Und es lohnt sich, wenn man es zu Ende liest. Das lange Lied eines Lebens bekommt fünf von fünf Punkten von mir.

Copyright © 2012 Antje Jürgens (AJ)
AJ
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